Fake News vom Mainstream

 
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22. April 2017 in Caracas: Oppositionsführer Henrique Capriles (Mitte) munitioniert die Medienmeute auf

In Venezuela verläuft die Eskala­tion der politischen Gewaltaktionen nach dem Drehbuch für eine »bunte Revolution«. Einheimische und internationale Medienkonzerne spielen dabei die ihnen vom US-Theoretiker Gene Sharp, dem Erfinder der »weichen Umstürze«, in seinem »Leitfaden« zur Beseitigung unliebsamer Regierungen zugedachte Rolle. Durch Unterschlagung von Tatsachen, dem Verschweigen von Hintergründen und gezielter Desinformation beeinflusst der Mainstream die öffentliche Meinung.

Deutschsprachige Printmedien mischen bei der Dämonisierung der gewählten linken Regierung kräftig mit. »Venezuela wird zur Diktatur« (Süddeutsche Zeitung, 31.3.2017), »Maduro will eine Diktatur errichten« (Zeit online, 2.4.2017) oder »Venezuela: Opposition warnt vor Diktatur« (Spiegel online, 2.4.2017) trommelt der Mainstream. Seitdem rechte Putschisten in dem ölreichsten Land der Welt wie bereits 2002 und 2014 wieder zu Terror und Gewalt greifen, um eine ausländische Intervention zu provozieren, verschärft sich der Ton. Zur Methode gehören tatsächliche »Fake News« ebenso wie die Verbreitung falscher Zahlen. Westliche Nachrichtenagenturen konzentrieren sich beispielsweise vor allem auf Demonstrationen der rechten Opposition, deren Teilnehmerzahl sie offenbar willkürlich einschätzen. So sprach die Nachrichtenagentur dpa am 8. April von »50.000 Demonstranten«, während die französische AFP am selben Tag lediglich 4.000 zählte. Meist übernehmen Medien ungeprüft die Angaben der Opposition, deren Protesten sie auch dann »mehrere zehntausend Teilnehmer« attestieren, wenn auf Bildern im venezolanischen Fernsehen nur spärlich besuchte Aufzüge zu sehen sind. Die Massendemonstrationen der Regierungsanhänger, an denen bislang Millionen Menschen teilnahmen, werden dagegen oft ignoriert. Einzige Quelle vieler Reporter, die wie die der ARD nicht vor Ort sind, sondern aus Nachbarländern berichten, sind häufig »soziale Netzwerke«, in denen Fake News Konjunktur haben. So wurde weltweit ein Fotoausschnitt verbreitet, auf dem eine wehrlose Frau zu sehen ist, die von einem Polizisten mit Pfefferspray malträtiert wird. Das mittlerweile ebenfalls kursierende Originalfoto wurde jedoch nicht – wie behauptet – in Venezuela, sondern im letzten Jahr in Brasilien aufgenommen.

Neben der Verbreitung derartiger Falschmeldungen ist das Unterdrücken von Nachrichten beliebt. Keine Meldung war den meisten bürgerlichen Medien beispielsweise ein Angriff von Banden der Opposition auf ein Mutter-Kind-Krankenhaus in der vergangenen Woche wert. Einige, die über den Vorfall berichteten, verfälschten die Vorgänge. Sie unterschlugen, dass Krankenhauschefin Rosalina Prieto im venezolanischen Fernsehen noch unter Schock beschrieben hatte, wie ein rechter Mob zunächst Flaschen und Steine gegen die Einrichtung geschleudert und schließlich Müll angezündet hatte. »Der giftige Rauch hat bei unseren Kindern Atembeschwerden verursacht«, erklärte die Direktorin. Um die Neugeborenen, deren Mütter und das Personal zu schützen, habe das Gesundheitszentrum evakuiert werden müssen. Das Onlineportal tagesschau.de verdrehte die Tatsachen in ihr Gegenteil und meldete am Sonnabend: »Ein Kinderkrankenhaus soll wegen des massiven Einsatzes von Tränengas evakuiert worden sein.« Schon zwei Tage zuvor hatte die »Tagesschau« Millionen Fernsehzuschauern falsche Behauptungen als Fakten aufgetischt. »Oppositionsführer Henrique Capriles wird mit Tränengas beschossen«, verbreitete das ARD-Flaggschiff zum Beispiel ungeprüft am Donnerstag in seiner 20-Uhr-Sendung. Auch in den anderen Ausgaben wurde gelogen. Um 17 Uhr berichtete die Tagesschau: »Soziale Medien sind der einzige Kommunikationsweg für die Opposition.« Die der rechten Opposition nahestehenden Zeitungen und Fernsehkanäle gibt es demnach nicht.

Überboten wurden solche Manipulationen noch vom Nachrichtenportal Welt N24. Dort schrieb man das Exmodel Lilian Tintori, Frau des wegen Anstiftung und Beteiligung an gewalttätigen Aktionen im Jahr 2014 inhaftierten rechten Politikers Leopoldo López, am Sonntag zum »Gesicht des venezolanischen Widerstands« hoch. Ihr smarter Gatte hatte bereits 2002 während des gescheiterten Putsches gegen Präsident Hugo Chávez eine maßgebliche Rolle gespielt. Springers Welt feiert die beiden Ultrarechten als »Glamourpaar der venezolanischen Politik«. »Nett, lieb, aber nicht wirklich ernst zu nehmen«, verharmlost das Blatt Tintori und verhöhnt so die Opfer der von López 2014 initiierten »Aktion Ausweg«. Sein damaliger Versuch, den gewählten Präsidenten Nicolás Maduro gewaltsam zu stürzen, hatte 43 Menschenleben und 800 Verletzte gefordert. Das erfahren bundesdeutsche Leser dort nicht. Für den Mainstream gehört Tintori, die kürzlich von US-Präsident Donald Trump empfangen wurde, zu den Hoffnungsträgern »in dem durch eine marxistische Planwirtschaft komplett heruntergewirtschafteten Land«. Denn, so frohlockt das Springer-Portal: »Aufgeben ist für sie keine Option mehr.«

Gene Sharps Anleitung zum Regime-Change wurde erstmals Anfang der 1990er Jahre von den Otpor-Banden in Serbien und später auch in der Ukraine erfolgreich abgearbeitet. Mit Desinformationskampagnen leisteten die Mainstreammedien auch dabei schon Schützenhilfe für die Machtergreifung von Faschisten. »Den Frieden«, erklärte die Kommunistische Partei Venezuelas am Mittwoch letzter Woche, »erobert man durch den Sieg über die Faschisten.«

Volker Hermsdorf

Veröffentlicht unter Aktuell, International, Schweiz

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