„LANZ wartet auf eine Revolution“

Sehr geehrter Herr Lanz,

sehr geehrte ZDF-lerInnen,

mit großem Interesse habe ich Ihre subjektive Reportage über Ihre ausgewählten kurzen Eindrücke über Kuba angeschaut, einem Land und einer Gesellschaft, die ich seit 25 Jahren kenne und bereise.

Eingangs möchte ich ein Lob aussprechen: Sie haben offensichtlich mit einigem rhetorischen Aufwand Ihre allem Anschein nach vorgefertigte Meinung („Kuba wartet auf eine neue Revolution!“) verfolgt, ja Äußerungen provoziert, die Ihrem leider sehr begrenzten Verständnis Kubas entsprechen. Dass (auch) KubanerInnen einem mal so eben vorbeischauenden, mit Fotoapparat (sowie Kamerateam) ausgerüsteten Alemannen (zu recht) skeptisch antworten und misstrauen, halte ich vor dem Erfahrungshintergrund meiner zahlreichen Aufenthalte in anderen Ländern und Kulturen für einen Aspekt, den Sie ignorieren oder gar eindeutig gegen die Menschen bzw. das System instrumentalisieren.

Nun, da es für Sie offenbar die erste und eine sehr kurze Reise durch Kuba war, noch dazu mit wenig Spanisch- und Landeskenntnissen, sollten wir nicht zu viel erwarten. Doch dass Sie Kuba durchweg als „Diktatur“ bezeichnen, zeugt von Ihrer mangelhaften Vorbereitung, denn mir ist trotz eingehender, systematischer sowie internationale Fachliteratur einbeziehenden Befassung mit Kuba nicht begegnet, dass ernsthafte, empirisch arbeitende ExpertInnen Kuba derart negativ und unzutreffend bezeichnen – außer solche „ExpertInnen“ wie die der Adenauer-Stiftung oder der IGfM, deren ideologische Verranntheit eigentlich – auch Ihnen – bekannt sein sollte. Die meisten Ihrer (vor-)gestellten Fragen zeugten von weitgehender Ignoranz und Arroganz, von eurozentrischer Überheblichkeit und Borniertheit, der Unfähigkeit sich einer anderen Gesellschaft und Kultur wirklich zu öffnen und zu verstehen (Max Weber) – [z.B. setzen Sie implizit Maßstäbe der BRD an, nicht aber die von Nachbarstaaten der Region! Warum nur??]. Sie haben die üblichen Negativklischees von ZDF, Bild und „Welt“ gezeigt – welch eine (von GebührenzahlerInnen gesponserte) journalistische (?) „Leistung“…!

Um nur einige wirklich dämliche Zitate von Ihnen aufzuführen: durch den zunehmenden Tourismus „klingeln Castros Kassen“, „Schizophrenie des Sozialismus“, „gibt es Aufstände im Lande?“, „über Politik zu reden ist Tabu“, „Kuba wartet auf eine neue Revolution“, etc.

 

„Darüber spricht man nicht!“ – „Darüber spricht LANZ nicht!“

Auf zahlreiche Aspekte in den Antworten/Aussagen der KubanerInnen sind Sie, Herr Lanz überhaupt nicht oder völlig unzureichend eingegangen.

Beispiel 1: das von Hugo Cancio erwähnte „Embargo“ (es handelt sich völkerrechtlich korrekt um eine „Blockade“! – also auch hier wird der US-Jargon benutzt, fälschlicherweise) wird von Ihnen in seinen immensen, den Alltag und die ökonomische Entwicklung störenden, hemmenden Effekte nicht nur nicht erläutert sondern abgetan. (selbstverständlich spricht ein Lanz auch nicht über die „extraterritorialen Effekte“ der US-Blockade, die ausländische [!] Banken und Unternehmen wegen Kontakte zu Kuba zu horrenden, gegen WTO-Recht verstoßende „Strafzahlungen“ an die US-Finanzbehörde verdonnert/zwingt – und damit Investitionen abschreckt!!). Weshalb haben Sie das nicht erwähnt?

Beispiel 2: das Ende der Sowjetunion hatte eklatante Negativeffekte für Kuba; aber auch das wird von Ihnen leider nicht erläutert. Durch den radikalen Wegfall von 85% des Außenhandels (!!! Welches andere Land hätte das überleben können?? …. inklusive BRD?). Die „periodo especial“ der 1990er Jahre war keineswegs von Kuba verschuldet. Weshalb haben Sie das nicht erwähnt? Weil es Ihrem selbstgebastelten Negativklischee nicht entspricht?

Beispiel 3: Gesundheitswesen und „grüne Medizin“: Sie fanden es offensichtlich geil, dass Sie einen Kräuterladen fanden und den gleich zu einer Gegenmaßnahme gegen das staatliche Gesundheitswesen fabrizieren konnten. Schön für Sie, aber schlecht für die Realität in Kuba: seit 1991 wird „grüne Medizin“ systematisch aufgebaut, in jeder der 16 Provinzen gibt es Fabriken die auf Heilpflanzen basierte Medikamente und Helmittel herstellen. (mein Solidaritätsverein unterstützt diejenige in Pinar del Rio von Anfang an…)

Beispiel 4: Migration/Flucht aus Kuba, Gespräch am Strand von Playa del Este: hier wurde nur angedeutet, dass die USA eine spezielle Verordnung gegen Kuba hatten (entgegen üblichen Visa- und Einreiseregeln) jedeR KubanerIn die US-Boden berührten erhielten die Green Card und viele weitere Hilfen in den USA. Was glauben Sie wohl würde mit Mexiko, DomRep, Haiti, Honduras passieren, wenn für die dortige Bevölkerung auch solch eine US-Verordnung existierte?? Was sind die Ursachen der Migration aus Nordafrika in die EU – liegt es daran, dass die Menschen aus bösen sozialistischen Ländern flüchten, oder sind es nicht etwa kapitalistische…? Weshalb flücht(et)en CubanerInnen NICHT nach Mexiko, Haiti, DomRep, Honduras…???

Beispiel 5: „die“ Jugend. Wie in allen Gesellschaften ist sie „anders“ als die Altvorderen, dynamischer, fordernder. Schade, dass Sie nicht erwähnten, wie z.B. von der US-Regierung finanzierte „NGOs“ sich genau auf die kubanische Jugend einschießen und diese versuchen zu manipulieren. Aber vielleicht wussten Sie das ja auch nicht (wie so vieles Andere), oder haben es überhört…

 

Nun, lieber Herr Lanz, ich will es bei diesen Beispielen belassen, und nur noch einige wenige Anmerkungen machen und Fragen an Sie bzw. Ihr Team (bzw. die zuständige ZDF-Redaktion) stellen.

Kurzum: nach meiner Auffassung haben Sie mit Ihren Fragen und (Off-)Kommentaren die negativen Klischees reproduziert und das verbreitete Narrative aus den USA (Trump & Co.) reproduziert.

Höhepunkt war in dieser Hinsicht Ihr Gespräch mit dem katholischen Priester (?) Eugenio, offensichtlich einem „Regimegegner“, der Ihnen ja dann deutlich hörbar und zu Ihrer Freude „aus der Seele sprach“, und Ihre subjektive Meinung artikuliert hat; er lieferte eine Bestätigung Ihrer ideologischen, eurozentrischen, antikommunistischen Sichtweise. Das war sicherlich ein (gut inszeniertes?) Freudenfest für Sie. Der Wessi hatte also Recht 😉

Journalistisch sehr fragwürdig, um nicht zusagen schockierend ist an Ihrer sehr subjektiven Reportage, dass Sie keine Kuba-ExpertInnen, WissenschaftlerInnen, Aktive von Massenorganisationen, Parlamenten, Verwaltungen, Universitäten oder Partei interviewt und zu Wort haben kommen lassen (Ihre Selektivität ist extrem einseitig). Genau diese Zensur kennen wir seit Jahrzehnten. Zu Wort kommen in westdeutschen Medien meist nur „Dissidenten“. Sind Sie stolz auf Ihre Einseitigkeit, haben Sie uns also mehr „Realitäten“ vorgeführt oder doch nur die „Ihre“, schwarz-weiße?

Abschließend eine sehr ernsthafte Anmerkung zu Ihrem fein internalisierten kapitalistischen Eurozentrismus (Ihre Frage an den Chef des Hafens in Santiago bzgl. „business“ war entlarvend für Ihre bescheidene politökonomische Bildung und Erfahrung!): während also „unsere“ westlich-kapitalistischen Gesellschaften die Zerstörung der globalen Lebensgrundlagen betrieben, immer weiter „Wachstum“ und Ausbeutung von Natur und Mensch praktizieren, jüngste Forschungsergebnisse beweisen, dass „unsere“ Länder (bzw. die freien Konzerne) alles Mögliche zu Profit verarbeiten, Geschäfte und (organisierte) Kriminalität nicht immer zu unterscheiden sind, Menschen in unseren Gesellschaften nicht sehr glücklich zu sei scheinen (siehe z.B. World Value Reports), Militärausgaben (inkl. Rüstungsexporte) astronomisch ansteigen, da reisen Sie für einige Tage nach Kuba und begreifen und spüren nicht, dass diese Gesellschaft sehr gut gelernt hat, mit begrenzten Mitteln/Ressourcen umzugehen —- daran sollten Sie sich aber bitte erinnern, wenn die glitzernden Kartenhäuser bei uns zusammenbrechen. Sie sollten sich dringend mit dem Thema „nachhaltige Entwicklung“ befassen.

Mit freundlichen Grüßen

Edgar Göll



» http://www.netzwerk-cuba.de/2017/08/lanz-wartet-auf-eine-revolution/
Veröffentlicht unter Aktuell, Cuba, International, Schweiz

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