»Wir Journalisten diskutieren die Defizite unserer Presseorgane«

 

 

In diesem Kiosk in Havanna verkauft die Kubanerin Mildrey Garcia
Zeitungen an interessierte Leser (13. September 2016)

Foto: Alexandre Meneghini/Reuters

Randy Alonso Falcón … ist einer der bekanntesten Journalisten Kubas. Unter anderem ist er Direktor der täglich ausgestrahlten Informationssendung »Mesa Redonda« (Runder Tisch) und Chefredakteur des Onlineportals Cubadebate

Ihre Sendung »Mesa Redonda« – der Titel heißt soviel wie »Runder Tisch« – erzielt in Kuba seit Jahren jeden Tag hohe Einschaltquoten. Bitte erklären Sie unseren Lesern, was für ein Programm das ist.

»Mesa Redonda« ist eine tägliche Gesprächsrunde über politische, soziale, kulturelle und andere Themen, die im Fernsehen, im Radio sowie im Internet übertragen wird. Das Programm entstand 1999 während einer Kampagne für die Rückkehr des kubanischen Kindes Elián González, das in den USA festgehalten worden war. Fidel Castro hatte die Sendung angeregt, weil ein Kind missbraucht wurde, um unserem Land zu schaden. In 18 Jahren haben wir bislang 4.000 Sendungen mit Hintergrundinformationen und Debatten zu unterschiedlichsten Themen produziert. Bei uns diskutieren betroffene Menschen aus dem Volk sowie Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler. Auch zahlreiche Politiker, darunter Hugo Chávez, Daniel Ortega, Evo Morales, Nicolás Maduro, Jimmy Carter und natürlich Fidel Castro waren zu Gast.

Und was verbirgt sich hinter dem Portal Cubadebate, das Sie betreiben?

Cubadebate ist ein Onlineportal, das im August 2003 von einer Gruppe kubanischer Journalisten als Reaktion auf eine massive Propagandakampagne westlicher Regierungen und Medienkonzerne gegen Kuba gegründet wurde. Unsere Sicherheitsbehörden hatten 75 Menschen verhaftet, die in Verbindung zu Geheimdiensten der USA und anderer Länder standen und in deren Interesse die Unabhängigkeit und Souveränität Kubas in Frage stellten. Zu diesem Zeitpunkt begannen die USA mit der Bombardierung Bagdads den Irak-Krieg. In Miami forderten rechte Contra-Gruppen: »Jetzt Irak – danach Kuba.« Die kubanische Regierung wurde kritisiert, aber unsere Sicht der Dinge unterschlug man. Mit Cubadebate haben wir eine journalistische Plattform geschaffen, um falschen Informationen Fakten gegenüberstellen zu können. Seitdem hat sich das Portal sehr gut entwickelt. Obwohl wir keine Honorare zahlen können, gibt es mittlerweile – neben einem Kern von sechs Verantwortlichen – eine große Zahl kubanischer und internationaler Journalisten, die dort Beiträge veröffentlichen. Dazu gehören Autoren wie Frei Betto, Noam Chomsky, Ignacio Ramonet, Atilio Borón, Stella Calloni, David Brooks, Mumia Abu-Jamal, Adolfo Pérez Esquivel, Alice Walker und viele weitere. Wir haben das Portal um neue Webseiten erweitert wie zum Beispiel »Las Razones de Cuba«, auf der ehemalige Aufklärer und Spezialisten über verdeckte Operationen der CIA und anderer Dienste gegen Kuba informieren. Vor einem Jahr haben wir die Seite »Fidel, soldado de las ideas« (Fidel, Soldat der Ideen) eingerichtet. Das ist eine digitale Enzyklopädie, die – auch in deutscher Sprache – wichtige Reden und Texte Fidel Castros, Daten über sein Leben, Briefe, Fotos und zahlreiche weitere Informationen enthält.

Es wird behauptet, dass es in Kuba nur wenige Medien gibt, die zudem noch alle vom Staat kontrolliert werden. Wie eingeschränkt ist Ihre Medienlandschaft?

Sie ist ziemlich umfangreich. Wir hätten gerne mehr, aber die wirtschaftliche Situation erlaubt dies nicht. Die Produktion einer Zeitung, eines Radio- oder Fernsehprogramms kostet viel Geld. In Kuba gibt es ein System von öffentlichen Medien. Dazu gehören sechs landesweite Fernsehkanäle, neuerdings auch zwei digitale, sowie 16 regionale Fernsehsender in den Provinzen, die Korrespondenten in allen Teilen des Landes haben. Zudem gibt es mehr als 90 verschiedene Radiosender. Im Zeitungsbereich haben wir drei landesweite und 16 regionale Tageszeitungen. Daneben existieren zahlreiche Zeitschriften wie etwa das älteste Magazin Lateinamerikas, Bohemia, sowie etliche Fachmagazine. Eine der ältesten Publikationen in Kuba ist zum Beispiel Mar y Pesca, eine Spezialzeitschrift für Fischerei und maritime Themen. Dazu kommen Hunderte von Onlineportalen und jede Menge Blogs. Das sind öffentliche Medien, deren Erscheinen der Staat garantiert, die er aber nicht als seine Plattform betrachtet.

Ist die größte Tageszeitung als Organ der Kommunistischen Partei nicht eine solche Plattform?

Es gibt offizielle Medien wie die Tageszeitung Granma, die das Organ der Kommunistischen Partei ist, oder die Tageszeitung des Kommunistischen Jugendverbandes, Juventud Rebelde. Aber daneben – und das ist die Mehrheit – gibt es Medien, die öffentlich sind. Sie sollen das Informationsrecht der Bürger garantieren und erhalten deshalb eine staatliche Finanzierung. Sie sind aber nicht das offizielle Organ irgendeiner Institution.

Gibt es auch private Medien?

Es gibt einen noch kleinen Bereich privater Medien, die sich derzeit in einer rechtlichen Grauzone bewegen. Verbreitet sind zum Beispiel Publikationen und Plattformen im Internet über An- und Verkauf, den Wohnungsmarkt und anderes. Da wir in Kuba noch kein Pressegesetz haben, sind diese Medien nicht legal, aber trotzdem gibt es sie. Es ist eine dynamische Entwicklung, die derzeit Gegenstand parlamentarischer Beratungen und öffentlicher Diskussionen ist. Die Einschränkungen, die eine größere Vielfalt verhindern, sind aber in erster Linie wirtschaftlich und nicht politisch bedingt.

Sind viele Journalisten in Kuba nicht sehr altbacken und angepasst?

 

 

 

 

 

 

Foto: Jan Lieske/jW

Wir Journalisten diskutieren seit Jahren sehr selbstkritisch über Defizite unserer Arbeit und unserer Presseorgane. Wir analysieren sowohl unsere Arbeitsbedingungen als auch neue Herausforderungen in der Gesellschaft, die Veränderungen in der Kommunikation erfordern. Wenn die Menschen nicht umfassend über die realen Probleme des Landes informiert sind, können sie sich nicht wirklich an gesellschaftlichen Debatten beteiligen. In den letzten Jahrzehnten hat sich bei einigen zum Teil eine Mentalität festgesetzt, den Problemen nicht wirklich auf den Grund zu gehen. Das liegt vielleicht auch daran, dass nicht alle verstehen, welche Funktion und welche Aufgaben öffentliche Medien haben. In Kuba sind sie nicht dazu da, um mit ihnen Geschäfte zu machen. Sie dienen in erster Linie dazu, die Bürger zu informieren, und nicht dazu, für private Eigentümer oder Konzerne Gewinne zu erwirtschaften. Aber ein Medium im Besitz der Öffentlichkeit ist auch kein offizielles oder staatliches Instrument. Obwohl es vom Staat finanziert wird, hat es eine andere Funktion.

Was sagen Sie zum Vorwurf der Geheimniskrämerei, der mitunter von Korrespondenten gegen Kuba erhoben wird?

Aufgrund unserer besonderen Situation als eines von den USA wirtschaftlich blockierten Landes, dessen gesellschaftliches System aus Sicht Washingtons mit allen Mitteln zerstört werden soll, haben unsere Medien ein Problem: Informationen werden vom Feind benutzt, um unser Land zu destabilisieren. Das betrifft nicht nur die Verteidigung, sondern auch die Forschung, medizinische Entwicklungen, Banken, Geschäfte und viele sensible Bereiche. Manche Funktionäre gehen deshalb sehr vorsichtig mit Informationen um, damit diese nicht zu unserem Schaden missbraucht werden. Das führt in der Tat gelegentlich zu einer Geheimniskrämerei, die kontraproduktiv ist. Politiker und Funktionäre sollten die Öffentlichkeit suchen, mit den Menschen überall in Dialog treten, ihre Entscheidungen erläutern und offen darüber diskutieren. Dazu müssen sie auch gegenüber der Presse offen sein. Mit Ausnahme von Bereichen der nationalen Sicherheit, die in allen Ländern der Welt der Geheimhaltung unterliegen, brauchen wir in allen anderen Dingen mehr Offenheit und Dialog. Die kubanischen Medien sind davon zwar noch ein Stück entfernt, aber wir sind auf einem guten Weg dorthin. Es gibt zunehmend kritische Berichte über gesellschaftliche, wirtschaftliche, soziale und politische Probleme. In vielen Medien arbeiten professionell ausgebildete junge Journalisten, die ihren Beruf mit Engagement, Enthusiasmus und Verantwortung ausüben, mittlerweile in leitenden Positionen.

Eine andere Kritik lautet, dass Sie schlicht ein offizieller Vertreter Kubas sind, kein unabhängiger Journalist.

Ich empfinde das nicht als Vorwurf, sondern als Ehre, denn ich bin revolutionär und verteidige unsere Revolution trotz aller Fehler, Schwächen und Irrtümer. Viele derjenigen, die sich als unabhängige Journalisten bezeichnen, sind zwar unabhängig von der Kubanischen Revolution, machen sich aber abhängig vom kapitalistischen System. Sie begeben sich in diese Abhängigkeit, um ein wenig von dem Geld abzubekommen, das ausländische Regierungen, NGOs, Stiftungen, Geheimdienste und Konzerne für Programme zur Destabilisierung unserer Gesellschaftsordnung ausgeben. Dazu gehören auch zahlreiche Medienprojekte mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Gemeinsam ist allen, dass Probleme und Missstände in Kuba durch eine Lupe betrachtet und überhöht herausgestellt, weltweit anerkannte Erfolge und Leistungen aber verschwiegen oder bestritten werden. Trotz der Probleme mit Hunger, Armut, Slums, Analphabetismus und fehlender medizinischer Versorgung, trotz der Willkür von Polizei und Militärs, trotz Hunderter ermordeter Journalisten und Menschenrechtsaktivisten in vielen Ländern Lateinamerikas stellen sie immer zuerst Kuba an den Pranger, wo es all dies nicht gibt. In Argentinien, Brasilien und Mexiko leiden Millionen Menschen unter Arbeitslosigkeit und extremer Armut, die neoliberale Politik führt zu Massenentlassungen und Preissteigerungen, die Not großer Teile der Bevölkerung wird immer größer, doch die westlichen Medien behaupten trotz alledem dreist, dass die kubanische Alternative dazu gescheitert sei.

Können Sie uns konkrete Beispiele für Programme und Kampagnen zur Destabilisierung Kubas nennen?

Die US-Regierung stellt Jahr für Jahr in ihrem Haushalt 20 bis 30 Millionen Dollar für subversive Programme gegen Kuba zur Verfügung. Dazu kommt eine fast ebenso große Summe für den staatlichen US-Propagandasender Radio and TV Martí und dessen Internetauftritte. Von den Millionenbeträgen, die CIA, NED, USAID und andere US-Dienste zur Destabilisierung unseres Gesellschaftssystems ausgeben, ganz zu schweigen. Ein großer Teil dieser Gelder wird für den Informationssektor ausgegeben. Die USA finanzieren den Aufbau von Internetseiten, unterstützen Blogger und zahlen Honorare für angeblich unabhängige Journalisten. Allein die 30 Millionen Dollar (25 Millionen Euro, jW) aus dem US-Haushalt entsprechen 750 Millionen Kubanischen Pesos, CUP, pro Jahr. Alle kubanischen Medien zusammen verfügen nicht annähernd über diese Summe. Das zeigt, in welcher ungleichen Situation wir uns befinden. Neben den USA finanzieren zahlreiche Länder Europas Medienprojekte in Kuba, um die Bevölkerung und vor allem die Jugend in ihrem Sinne politisch zu beeinflussen. Ich frage mich, wie es angesichts der Probleme in Lateinamerika zu verstehen ist, dass die niederländische Regierung die Zeitschrift El Toque herausgibt, die sich ausschließlich mit Kuba beschäftigt? Oder warum die staatliche britische BBC einen Blog nur für Kuba einrichtet? Warum beschäftigen große Medien wie El País oder die Deutsche Welle Systemgegner, die nie eine journalistische Ausbildung absolviert haben, um exklusiv über Kuba zu berichten? Glauben sie wirklich, dass Kuba das Land in Lateinamerika mit den größten Problemen ist, oder gibt es vielleicht andere Gründe dafür, dass sie uns so ins Zentrum ihrer publizistischen Aktivitäten stellen?

Nach dem Annäherungskurs von US-Präsident Barack Obama will Donald Trump offenbar in den Kalten Krieg zurückkehren. Was setzen Sie seinen Drohungen entgegen?

Die Regierung von Barack Obama präsentierte sich uns gegenüber zwar etwas freundlicher, doch im Hintergrund verfolgte auch sie immer das Ziel, die Kubanische Revolution zu zerstören. Obwohl Donald Trump in die Rhetorik des Kalten Krieges zurückfällt, hat er nicht alle Entscheidungen der Obama-Administration zurückgenommen. Und in einem Punkt stimmen Trump und Obama zu einhundert Prozent überein, nämlich darin, die Einflussnahme auf die kubanische Bevölkerung durch Radio, Fernsehen, Internet, soziale Netzwerke und andere digitale Medien zu verstärken. Das ist derzeit ein strategischer Schwerpunkt für die Subversion gegen Kuba. Die USA versuchen uns durch Ausweitung der Blockade und die Besetzung von Themen und Räumen in Kunst und Kultur, in den Medien und in gesellschaftlichen Einrichtungen zu schwächen. Wir können dem nur dadurch entgegenwirken, dass wir unsere Alternativen zum kapitalistischen System herausstellen. Dafür brauchen wir einen besseren Journalismus, bessere Medien, eine größere gesellschaftliche Teilhabe an der Kommunikation sowie den Austausch zwischen der Bevölkerung und den Akteuren in Politik, Wirtschaft und Medien. Dabei sollten wir aus Fehlern lernen, um unser Land besser zu machen. Doch auch darauf bereiten sich unsere Gegner vor. Sie versuchen nicht nur private Medien zu installieren, die sie besser steuern können, sondern auch eine Bresche in unsere öffentlichen Medien zu schlagen. Sie suchen derzeit gezielt nach jungen Leuten, die sich zur Revolution bekennen, um diese zu beeinflussen und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Die Gegner unserer Ordnung geben vor, nicht mehr die Konfrontation zu suchen, den Sozialismus nicht zerstören, sondern ihn verbessern zu wollen. Sie schlagen vor, das jeweils Positive aus dem Kapitalismus und dem Sozialismus zusammenführen zu wollen, und suchen Gefolgsleute, aus denen sie soziale Führer machen wollen. Zu dieser Strategie gehören verschiedene Medienprojekte. Für manche ist das verführerisch, weil die Organisatoren solcher Programme behaupten, dass sie sich nicht in Kuba einmischen oder den Sozialismus in Frage stellen, sondern dabei helfen wollen, die Bedingungen im Land zu verbessern und ein System zu schaffen, das offener, moderner und kritischer ist. Oft werden Entwicklungen auch von einem scheinbar linken Standpunkt aus kritisiert. Zur Strategie gehört es, zu vermitteln, dass die kubanische Regierung ein Problem für die Entwicklung ist.

Warum gibt es in Kuba kein Mehrparteiensystem?

Trotz unterschiedlichster Meinungen verteidigt die Mehrheit unseres Volkes die Unabhängigkeit und Souveränität Kubas und unser sozialistisches Gesellschaftsmodell. Die Einheit ist das größte Hindernis für unsere Gegner. Deren Interesse an westlich geprägten Parteien, auf die sie Einfluss nehmen können, hat nichts mit den Interessen der kubanischen Bevölkerung, sondern mit ihren eigenen Zielen zu tun. Wie verlogen die Argumentation ist, sieht man an Vorwürfen, dass Russland Einfluss auf die Wahlen in den USA genommen habe oder auf die Wahlen in Deutschland nehmen könne. Dabei ist bekannt, dass die USA wie auch europäische Parteien und Stiftungen ständig Einfluss auf Wahlen in vielen Ländern der Welt nehmen. Diese Art von Einmischung kannten wir bis zur Revolution auch in Kuba. Das haben wir beendet und verfügen jetzt über eine Demokratie, die es den Menschen ermöglicht, auf sie betreffende Entscheidungen direkt Einfluss zu nehmen. Veränderungen in unserer Wirtschaft und Gesellschaft sind das Ergebnis ausgiebiger Diskussionen, an denen sich Millionen Kubaner beteiligt haben. Entscheidungen werden in Betrieben und Verwaltungen, in Universitäten und den Organisationen der Zivilgesellschaft immer wieder überprüft und, wenn nötig, korrigiert. Das ist etwas völlig anderes als die bürgerliche Demokratie, in der die Menschen sich zwar alle paar Jahre einmal zwischen diversen Parteien entscheiden, danach aber keinen Einfluss mehr auf die Politik nehmen können, auch wenn diese sich gegen die Interessen der Mehrheit richtet.

junge Welt, 2. September 2017

Interview: Volker Hermsdorf

Veröffentlicht unter Aktuell, Cuba

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