Friedensfahrt im Süden

Venezuela, Nicaragua, Kuba und am Donnerstag Ecuador – während US-Finanzminister Timothy Geithner mit mäßigem Erfolg durch Asien tourt, um etwa China und Japan auf Sanktionen gegen den Iran einzuschwören, und Washington zudem zwei Flugzeugträger in das Arabische Meer verlegt hat, wirbt der iranische Regierungs­chef Mahmud Ahmadinedschad in dieser Woche mit einer Reise durch Lateinamerika um Unterstützung. Sicherlich nicht zufällig wählte er als Stationen seiner Tour Mitgliedsstaaten der »Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas« (ALBA). Bei den obligatorischen Foto- und Presseterminen verurteilten seine Gastgeber erwartungsgemäß die Drohungen der USA und der EU gegen Teheran und warnten vor der wachsenden Kriegsgefahr. Im Gegenzug übernahm Ahmadinedschad, dessen Regierung im eigenen Land eine weitgehend neoliberale Wirtschaftspolitik betreibt, den Diskurs der ALBA-Länder: »Gott sei Dank sehen wir, daß sich der Kapitalismus im Niedergang befindet«, sagte er etwa in Havanna.

Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño wies unterdessen die Kritik Washingtons an der Rundreise Ahmadinedschads zurück. Quito habe den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und engagiere sich dafür, den Frieden durch Dialog und niemals durch Gewalt zu sichern. Im Gegensatz dazu gäbe es »andere Länder«, die das Abkommen nicht unterzeichnet hätten, über Massenvernichtungsmittel verfügten und weltweit Krieg führten, deren Legitimation aber trotzdem nicht in Frage gestellt werde.

Für den venezolanischen Parlaments­abgeordneten Carolus Wimmer, der auch internationaler Sekretär der Kommunistischen Partei seines Landes ist, gründet sich das gemeinsame Interesse des Iran und der ALBA-Länder nicht auf dem »gemeinsamen Feind« USA, wie es von westlichen Medien nahegelegt wird. Lateinamerika sei vielmehr »die einzige geographische Region, die der gegenwärtigen großen Krise des Kapitalismus entkommen« sei, sagte er dem Fernsehsender TeleSur. Dadurch seien die Staaten der Bolivarischen Allianz und anderer regionaler Bündnisse zu einem weltweiten Bezugspunkt für gute Handelsbeziehungen geworden. Das sieht Haitis Präsident Michel Martelly offenbar ähnlich. Am Vorabend des zweiten Jahrestags des Erdbebens, das sein Land am 12. Januar 2010 zerstört hatte, kündigte er an, seine Regierung erwäge eine Vollmitgliedschaft in der ALBA.

Am Dienstag kündigte Venezuelas Präsident Hugo Chávez am Rande der Amtseinführung von Nicaraguas Staatschef Daniel Ortega zudem an, daß der Staatenbund, der »weltweit fortgeschrittenste Mechanismus zur Integration«, im gerade begonnenen Jahr in eine »neue Etappe« eintreten werde. »Wir müssen die Strukturen und die Einheit der ALBA auf politischem, ökonomischem und sozialem Gebiet vertiefen«, forderte er. Das gelte besonders für die von den Mitgliedsstaaten gegründete ALBA-Bank, die bislang »klein, bescheiden und mit wenig finanziellen Möglichkeiten« gewesen sei, so Chávez. Sie müsse in die Lage versetzt werden, Abkommen mit anderen Finanzinstitutionen zu treffen, um die Armut in Lateinamerika zu bekämpfen.

Auch weltpolitisch treten die ALBA-Staaten zunehmend selbstbewußter auf und präsentieren sich als Stimme der Länder, die von den USA und der EU attackiert werden. So berichtet die kubanische Agentur Prensa Latina derzeit regelmäßig unter dem Rubriktitel »Kreuzzug gegen Syrien« über die Krise in dem arabischen Land.

junge welt
13. Januar 2012
André Scheer



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