Helden in Weiß

André Scheer
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Vorbereitung für den Ernstfall: Eine kubanische Krankenpflegerin betritt bei einer Übung für den Einsatz gegen Ebola ein Behandlungszelt (Havanna, 24. September 2014)

Für Félix Báez gab es kein Halten. Im September 2014 hatte sich Margaret Chan, die Chefin der Weltgesundheitsorganisation WHO, mit einem dramatischen Appell an die internationale Gemeinschaft gewandt. Sie bat um Hilfe für die von der Ebola-Epidemie betroffenen Länder Westafrikas. Der Arzt Báez gehörte zu den ersten 165 Freiwilligen, die Kuba sofort in die Region entsandte. Insgesamt schlossen sich in den folgenden Monaten rund 500 Kubaner der Hilfsmission an. Als diese Ende März 2015 zu Ende ging, würdigte die WHO-Vertreterin in Sierra Leone, Anshu Banerjee, den schnellen und »unschätzbaren« Einsatz der Kubaner als entscheidenden Schritt dafür, dass sich auch andere Länder dem Kampf gegen Ebola angeschlossen hätten.

Félix Báez steckte sich bei seiner Arbeit in Sierra Leone selbst mit dem Virus an. Der damals 43jährige wurde in die Schweiz ausgeflogen und in Genf behandelt. Die Meldung über seine Erkrankung machte die Runde, Millionen seiner Landsleute hofften in Kuba auf positive Nachrichten über seinen Zustand. Zeitungen, Radio und Fernsehen berichteten ausführlich, und mehrfach kam auch sein Sohn Alejandro zu Wort, der sich von der Anteilnahme überwältigt zeigte: »Hinter meinem Vater steht ganz Kuba!« Im Gespräch mit junge Welt erzählte Félix Báez im Februar 2016, dass sein Zustand sehr ernst gewesen sei. Als er sich etwas erholt hatte, wurde ihm damals berichtet, dass es im Internet eine wahre »Explosion der Solidarität« gegeben hatte. »Alle Kubaner, nicht nur in Kuba selbst, sondern überall auf der Welt, haben mit mir gehofft, und das war für mich eine große Unterstützung.«

Im Dezember 2014 konnte Báez in seine Heimat zurückkehren, doch er brannte darauf, das Begonnene zu beenden. »Schon als mir ein anderer kubanischer Arzt die Diagnose mitteilte, dass ich positiv auf Ebola getestet worden sei, habe ich ihm gesagt: Macht euch keine Sorgen, Neujahr feiern wir zusammen hier. Ich komme wieder.« Ganz so schnell ging es nicht, doch Mitte Januar 2015 war Báez wieder in Sierra Leone und setzte seinen Einsatz bis zum 22. März fort. Würde er es heute noch einmal tun? »Natürlich! Ich bin bereit, überall hinzugehen, wo auch immer es nötig ist, um zu helfen.« Diese Haltung ist die vieler Ärzte, von denen Kuba im Verhältnis zu seiner Bevölkerung mehr hat als jedes andere Land der Erde. Die WHO gibt an, dass auf der Insel 67 Mediziner auf 10.000 Einwohner kommen. Zum Vergleich: In Österreich sind es 48, in Deutschland 36.

Antrieb Internationalismus

An solche Werte war kaum zu denken, bevor Fidel Castro und die bärtigen Revolutionäre 1959 in Havanna einzogen und der von den USA ausgehaltene Diktator Fulgencio Batista das Weite gesucht hatte. Damals arbeiteten auf der Insel nach offi­ziellen Angaben knapp 6.300 Ärzte – und von denen emigrierte jeder zweite in den ersten Jahren nach dem Sieg der Revolution. Den Kubanern blieb nichts anderes übrig, als sofort mit der Ausbildung neuer Mediziner zu beginnen. Doch schon 1960 schickte die Inselrepublik eine Gruppe Ärzte sowie Hilfsgüter nach Chile, das von einem schweren Erdbeben erschüttert worden war. Als eigentliches Datum für den Beginn der internationalen medizinischen Solidarität gilt jedoch der 23. Mai 1963. Damals reiste eine Gruppe von 55 kubanischen Ärzten in das gerade unabhängig gewordene Algerien reiste, um dort für ein Jahr zu helfen. In den folgenden Dekaden unterstützten Tausende Mediziner vor allem die Befreiungsbewegungen und die souverän gewordenen Länder Afrikas. Neben dem Engagement für die gesundheitliche Betreuung gehörte auch militärische Hilfe dazu, vor allem in Angola, wo zwischen 1975 und 1991 nicht weniger als 400.000 Bürger der sozialistischen Karibikinsel zusammen mit den einheimischen Streitkräften gegen die konterrevolutionäre UNITA und die Truppen des Rassistenregimes Südafrikas kämpften. Diese »Operation Carlota« war mitentscheidend auch für die Befreiung Namibias und den Sturz der Apartheid in Südafrika, wie unter anderem der spätere Präsident und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela anerkannte. Dessen erste Auslandsreise nach seiner Entlassung aus 27jähriger politischer Haft führte 1991 nicht zufällig nach Kuba, wo er sich für das Engagement bei der »Befreiung unseres Kontinents« bedankte: »Das kubanische Volk«, unterstrich Mandela, »hat in den Herzen der Menschen Afrikas einen besonderen Platz.«

Militärische Einsätze im Ausland gehören für Kuba heute der Vergangenheit an, doch die internationale Solidarität im Gesundheitswesen wurde nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten Europas sogar ausgeweitet. Heute sind nach Angaben von EcuRed, einer kubanischen Wikipedia, knapp 40.000 kubanische Mediziner in 76 Ländern der Welt im Einsatz.

Neben Südamerika – wo diese Unterstützung etwa in Venezuela den Aufbau des Gesundheitssystems »Barrio Adentro« ermöglichte – ist Afrika die Region, in der die meisten Mediziner von der Insel arbeiten. »Mit Afrika verbinden uns Bande des Blutes«, zitierte die britische BBC im September 2014 den kubanischen Außenminister Bruno Rodríguez. 1,3 Millionen afrikanische Sklaven seien während der Kolonialherrschaft nach Kuba verschleppt worden, so der Chefdiplomat. »Ihre Nachfahren spielten eine Rolle bei den Unabhängigkeitskriegen auf der Insel im 19. Jahrhundert, und Kuba denkt, dass es gegenüber Afrika eine historische Schuld zu begleichen hat.« Auch Aleida Guevara, die Tochter des legendären Revolutionärs Che Guevara und wie ihr Vater selbst Ärztin, formulierte es ähnlich: »Wir sind Afrolateinamerikaner und geben den Söhnen und Töchtern dieses Kontinents solidarisch das zurück, was sie zu unserer Nation beigetragen haben.«

Eines der Länder, die am meisten von der kubanischen Solidarität profitieren, ist die von Marokko besetzte und annektierte Westsahara. Sechs Ärzte von der Insel arbeiten ständig im Krankenhaus des sah­rauischen Flüchtlingslagers Rabouni in Algerien, wodurch die Einrichtung am Laufen gehalten wird. Tausende Sahrauis konnten in den vergangenen Jahrzehnten auf Kuba studieren. Einer von ihnen berichtete auf seinem Blog im Internet: »Ich war elf Jahre alt, als ich aus den sahrauischen Flüchtlingslagern nach Havanna kam, um auf der Isla de la Juventud meine Grundschulbildung zu beginnen. In den Landschulen waren wir mehr als 500 Kinder im Internat. Es gab zwei Schichten, die gesamte Schule war in zwei Gruppen aufgeteilt. Einige lernten am Morgen, während die anderen auf dem Land arbeiteten, und am Nachmittag war es dann umgekehrt. Vor dem Abendessen blieb immer Zeit für Vergnügungen, für Baseball oder Volleyball.«

Staatspräsident Raúl Castro bekräftigte Mitte April in seinem Bericht an den VII. Parteitag der KP Kubas, dass sein Land diese Solidarität fortsetzen werde: »Die Brudervölker der dritten Welt, die sich anstrengen, das Erbe von Jahrhunderten kolonialer Herrschaft umzuwälzen, wissen, dass sie immer mit der Solidarität und Unterstützung Kubas rechnen können und dass wir weiterhin unsere Verpflichtung zur Zusammenarbeit erfüllen werden, auf der Basis, das zu teilen, was wir haben, und nicht nur das, was wir übrig haben. Eine Bestätigung dafür war die heldenhafte Beteiligung des kubanischen medizinischen Personals am Kampf gegen Ebola, die weltweite Anerkennung gefunden hat.«



» https://www.jungewelt.de/beilage/art/285206?sstr=kuba
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