Impressionen aus Havanna

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Der Beginn der Zeit nach Castro wird in der Bevölkerung als unspektakulärer Vorgang wahrgenommen: Kinder beim Fussballspielen in Havanna am 20. April 2018

Seit gut einer Woche hat Kuba eine neue Regierung und seit fast 60 Jahren zum ersten Mal einen Präsidenten, der nicht den Nachnamen Castro trägt. Aus allen Teilen der Welt trafen Glückwünsche an den neuen Staats- und Regierungschef Miguel Díaz-Canel in Havanna ein. Das Treiben in den Straßen der Hauptstadt aber nimmt seinen normalen und wie immer geschäftigen Gang. Beim Durchqueren verschiedener Stadtteile verfestigt sich der Eindruck, dass der Beginn der »Nach-Castro-Zeit«, wie manche den Generationenwechsel bezeichnen, von der Bevölkerung als ein völlig unspektakulärer, normaler Vorgang wahrgenommen wird. Die Gegner des kubanischen Systems, die auf Unruhe oder antikommunistische Manifestationen gehofft hatten, werden in diesen Tagen bitter enttäuscht.

Einzig das Bedürfnis nach Informationen scheint gestiegen zu sein. Es ist noch schwieriger als sonst, an den offiziellen Verkaufskiosken eine Tageszeitung zu ergattern. Das freut allerdings die Rentner, die bereits frühmorgens alle Zeitungen aufkaufen und dann für ein Vielfaches in den Straßen anbieten. Einer von ihnen stellt sich am Zentralpark in Alt-Havanna als »Ernesto« vor und preist seine Zeitungen clever als »Dokumente eines historischen Ereignisses« an. »Alles über die Wahl und den neuen Präsidenten und wie es in Kuba weitergeht«, ruft er. Das steht zwar nicht in den Blättern, doch der Kaufanreiz funktioniert trotzdem. Auf den Einwand, dass ein CUC, in etwa 80 Eurocent, für die Parteizeitung Granma, die umgerechnet offiziell in etwa einen Eurocent kostet, ziemlich teuer ist, legt Ernesto noch die Zeitung des kommunistischen Jugendverbandes, die Juventud Rebelde drauf. Die Ausgabe enthalte auch Informationen über die Demonstrationen am kommenden 1. Mai, sagt er. Und das stimmt. Dann werden in Kuba wieder Millionen Menschen für die Verteidigung der Errungenschaften ihrer Revolution und für die internationale Solidarität der arbeitenden Menschen in aller Welt auf die Straße gehen. Unter den Teilnehmern wird auch die 31jährige Yilian Díaz Meneses aus Sancti Spíritus sein, eine der jungen neuen Abgeordneten der Nationalversammlung, die sich am 18. April in Havanna konstituiert hat. Sie hält die Gestaltung des Generationenwechsels für eine der wichtigsten Aufgaben der aktuellen Legislaturperiode, erklärt die Jungpolitikerin im Interview mit der Juventud Rebelde. »Unsere Generation wird die Fortsetzung eines Projektes gewährleisten, dem wir nicht nur mit Blick auf die Gegenwart, sondern vor allem auch auf die Zukunft unseres Landes verpflichtet sind«, sagt Yilian Díaz.

In einem Sammeltaxi wird über das veränderte Verhältnis zu den USA diskutiert. »Ich war ein Fan von Obama«, sagt ein junger Mann mit tätowierten Armen und einer Mütze mit dem Schriftzug »Miami« auf dem Kopf. »Aber alles, was der uns noch versprochen hat, gilt jetzt nicht mehr.« – »Was willst du damit sagen?« dreht sich eine junge Frau auf dem Vordersitz zu ihm um. Der Tätowierte sieht aus dem Fenster und zieht ohne zu antworten die Schultern hoch. Seit dem Wechsel zu Donald Trump wurde unter anderem die US-Blockade gegen Kuba wieder verschärft, und Washingtons Botschaft in Havanna bearbeitet seither keine Visumanträge mehr. Ein älterer Mann mit wettergegerbtem Gesicht und Arbeiterhänden sagt ungefragt, lachend seine Meinung dazu: »Habt ihr jungen Leute wirklich geglaubt, dass man den Yankees trauen kann?« Der kurze Disput im Taxi spiegelt die Stimmung auf den Straßen in Havanna. Die Kehrtwende in Washingtons Kuba-Politik hat enttäuscht und manche Träume zerplatzen lassen. Zugleich erfährt man, dass viele Kubaner, die vor Jahren in die USA ausgewandert waren, derzeit wieder nach Kuba zurückkehren und die dauerhafte Wiedereinbürgerung beantragen.

Auf dem Rückweg von einem Kinderfußballspiel im John-Lennon-Park ins Zentrum von Vedado weist an der Ecke der 17. Straße und Avenida Paseo eine große Zahl von Fahrzeugen mit Diplomatenkennzeichen auf eine Botschaft hin. Es sei die Vertretung der Demokratischen Volksrepublik Korea, erklärt uns der kubanische Wachtposten vor der Eingangstür. Als er keine negative Reaktion bemerkt, fügt er anerkennend hinzu: »Die sind so ähnlich wie wir. Sie ergeben sich dem Gegner nicht.« Zum Abschied ruft der Wachtposten noch hinterher: »Es ist auch gut, dass die Koreaner den Irren in Washington in seine Schranken weisen.«

Volker Hermsdorf, Havanna



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Veröffentlicht unter Aktuell, Cuba

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