Mehr als ein Appell

Noch vor kurzem standen Kommunistinnen und Kommunisten relativ allein mit ihrer Aussage, dass ein konsequentes Vorgehen gegen die Coronapandemie ohne Eingriffe in die Verfügungsgewalt der Banken und Konzerne über Fabriken und Produktionsmittel nicht möglich ist. Nun nimmt die Debatte Fahrt auf. Selbst in Parteien des Monopolkapitals mehren sich Stimmen, denen der Widersinn auffällt, dass die Freizeit der Menschen drastisch reglementiert wird, während die Bedrohung durch das Virus in Fabrikhallen, Packzentren und Großraumbüros, in überfüllten Bussen und Klassenzimmern übergangen wird.

Der bereits von Zehntausenden unterzeichnete Aufruf »Zero Covid« verstärkt die Debatte. Um die Zahl der Ansteckungen mit dem Virus auf null zu bringen, sollen Arbeitsstätten und Lernorte für mehrere Wochen geschlossen werden. Die Forderungen von »Zero Covid« sind logisch und orientieren sich an den Maßnahmen, die einen erfolgreichen Kampf gegen die Pandemie in China, in Vietnam und Kuba möglich machten: Drastische Einschränkungen der Kontakte nicht nur in der Freizeit, sondern auch bei der Arbeit, schnelle und regelmäßige Tests für alle, konsequente Pflege der Betroffenen und Ausbau der Ressourcen des Gesundheitswesens.

Im Aufruf wird verlangt, dass die Folgen des Shutdowns nicht auf die Massen abgewälzt werden dürfen, dass keiner zurückgelassen werden darf. Die Reichen, die Krisengewinnler müssen zahlen. Gewerkschaften stehen ihrem Auftrag gemäß in der Pflicht, sich entschlossen für die Gesundheit der Beschäftigten einzusetzen und eine »solidarische Pause von einigen Wochen« zu organisieren.

Wir brauchen diese Debatte in der gesamten Gesellschaft. Wir brauchen sie vor allem, um Bewusstsein dafür zu schaffen, dass nicht die Pandemie allein das Problem ist, sondern das Gefährlichste die Kombination aus Pandemie, Kapitalismus und seiner Krise. Wir brauchen sie, um Bewegung und Kämpfe zu initiieren, denn ohne sie ist die Forderung nach einer – noch dazu europaweiten – »solidarischen Pause« illusionär.

Wir brauchen Bewegung, um das Abwälzen der Lasten der Wirtschaftskrise auf die Bevölkerung, für das die Pandemie genutzt wird, abzuwehren und um gegen eine neue Privatisierungswelle in den Kommunen und für ein Gesundheitswesen in öffentlicher Hand mit genügend Personal zu kämpfen. Nur so kann ein Kräfteverhältnis entstehen, in dem nicht jede neue Strategie im Kampf gegen das Virus letztlich Kapitalinteressen dient und von den Werktätigen bezahlt wird.

»Wir wissen, dass wir den Schutz unserer Gesundheit gegen kurzfristige Profitinteressen und große Teile der Politik erkämpfen müssen.« Diese Aussage des Aufrufs »Zero Covid« muss Leitlinie einer Strategie gegen die Pandemie sein. Wird der Aufruf allein als Appell an die Regierenden verstanden, wird er wenig helfen. Wird er als Instrument zur Entwicklung dieser Kämpfe genutzt, kann er von riesiger Bedeutung sein.



» https://www.jungewelt.de/artikel/394796.mehr-als-ein-appell.html?sstr=k%C3%B6bele
Veröffentlicht unter Aktuell, Cuba, International, Schweiz

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