Pandemie als Geschäft

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Anfang der Woche das »katastrophale moralische Versagen« westlicher Länder bei der Verteilung von Impfstoffen gegen das Coronavirus kritisiert. Während in 49 wohlhabenden Staaten inzwischen 39 Millionen Dosen verabreicht wurden, sei die Zahl der Geimpften in armen Ländern minimal, klagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Er warnte davor, dass der »Impfstoffnationalismus« nicht nur die Schwächsten der Welt gefährde, sondern auch selbstzerstörerisch sei und die Pandemie durch neue Ausbrüche in armen Ländern letztlich verlängern werde. Doch auch in wohlhabenden Staaten wie der BRD entscheiden nicht Politiker, sondern längst die Pharmakonzerne darüber, ob, wann und wie viele Menschen immunisiert werden. Appelle werden daran nichts ändern. Was die WHO als Versagen bezeichnet, entspricht den neoliberalen Marktgesetzen und ist in deren Logik sogar höchst erfolgreich.

»Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede. Ich habe noch niemanden gekannt, der sich zur Stillung seiner Geldgier auf Erhaltung und Förderung des Friedens geworfen hätte«, schrieb der Journalist und Kämpfer gegen den Krieg Carl von Ossietzky 1931, die Katastrophen der nachfolgenden Jahre voraussagend. Wie wir derzeit nicht zum ersten Mal erfahren, gilt seine Analyse auch für das Verhältnis von Krankheiten, Seuchen und Gesundheitsschutz. Obwohl die neuen Technologien für Coronaimpfstoffe in mehreren Ländern an Universitäten und Forschungsinstituten mit Milliarden staatlicher Fördergelder entwickelt wurden, gehören die Ergebnisse nicht denen, die mit ihren Steuern ursprünglich dafür bezahlt haben.

Als die Nachfrage ein risikoloses Geschäft versprach, stiegen Konzerne in die Impfstoffprojekte ein und bemächtigten sich der lukrativen Patente. Analysten der US-Investmentbank Morgan Stanley rechnen damit, dass der US-Konzern Pfizer und Biontech mit ihrem Impfstoff allein in diesem Jahr mehr als 15 Milliarden Euro Umsatz erzielen. Die Genfer Wissenschaftlerin Suerie Moon erwartet laut tagesschau.de, dass Unternehmen noch viele Jahre von der Pandemie profitieren werden.

Kuba, Venezuela und das linke Regionalbündnis ALBA beschreiten einen anderen Weg. Havanna kündigte am Freitag für dieses Jahr die Produktion von 100 Millionen Impfstoffdosen für den eigenen und den Bedarf anderer Länder an, bei der die Rendite nicht im Vordergrund stehe. Gemeinsam mit Venezuela baut die Insel zudem eine Impfstoffbank auf, die den Bedarf für alle ALBA-Länder in Lateinamerika und der Karibik deckt. Später sollen auch Länder in anderen Regionen davon profitieren. Damit drohen Kuba, Venezuela, Russland, China und andere Schurkenstaaten wieder einmal, die Gewinne multinationaler Konzerne zu schmälern. Die westliche Wertegemeinschaft wird sich das vermutlich nicht lange gefallen lassen.

Volker Hermsdorf

junge Welt, 23. Januar 2021



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Veröffentlicht unter Aktuell, Blockade, Cuba, International, Schweiz

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