Liebe und Widerstand

Am 17. Mai, kurz nach 18 Uhr – in Montevideo ging gerade die Sonne unter – starb der 88jährige Italo-Uruguayo Mario Orlando Hardy Hamlet Brenno Benedetti Farrugiar. »Der Tod ist nur ein Symptom dafür, das Leben stattfand«, bemerkte der beliebteste Schriftsteller des kleinen Río-de-la-Plata-Landes einmal. Er galt als einer der wichtigsten Autoren der hispanoamerikanischen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er selbst sah sich als »Dichter, der auch Erzählungen und Romane schreibt«.

Als Poet war er zweifellos zumindest die Nummer Zwei in Lateinamerika nach Neruda. Sein schnörkelloser Stil, direkt und umgangssprachlich, ironisch und sentimental, kam bei den Leuten an: Er war einer von ihnen. Kein aufgeblasener Ich-weiß-nicht-was. Seine Themen waren die des »kleinen Mannes«, er blieb immer bei seinen Leisten: Hauptstadt-Mittelklasse und abwärts. Wenn mal eine Geschichte im Ausland angesiedelt war, so waren doch immer Landsleute die Protagonisten, so auch in der Flickenteppich-Erzählung »Alles andere ist Dschungel« von 1961, angesiedelt im New York zu Zeiten der Beat Generation: Ein spitzer American-Way-Of-Life-Klassiker der frühen Nord-Süd-Literatur!

Auch wenn sich Benedetti als Jugendlicher alles Schwerverdauliche, aber vor allem für Otto und Olga Normal Unverständliche reinzog – so gestelzt wollte er nicht schreiben. Das wurde ihm klar, als er in Buenos Aires die »bescheidene«, aber »deutliche« Lyrik Baldomero Fernández Morenos für sich entdeckte. Warum weiterhin bis zum Abwinken importierte Lexika bemühen? »In den gängigen Gedichten wimmelte es nur so von Rehböcken und Gazellen. Tiere, die es hier nicht gibt.«

1933 nahm ihn sein Vater von der Deutschen Schule in Montevideo. Da war der Hitlergruß obglitarorisch geworden. Benedetti brach seine Schullaufbahn verfrüht ab, verdingte sich ab dem 14. Lebensjahr u.a. als Autoersatzteilverkäufer. Irgendwie mußte er sein Schreiben finanzieren. Romane wurden in Uruguay ohnehin nicht verlegt, so florierte die Erzählung. Erst nach 1969 gelang es ihm, von Jounalismus und Büchern leben zu können.

Seit 1945 war er in Montevideo bei der Wochenzeitung Marcha (für Politik und Kultur), eine der wichtigsten Lateinamerikas (später und bis heute Brecha, wieder mit Benedetti), beschäftigt, leitete dort etappenweise die Literaturbelange. 1974 wurde das Blatt endgültig von der Militärdiktatur Juan Maria Bordaberrys »geschlossen«.

Zwischenzeitlich hatte Benedetti seine Liebe für Kuba entdeckt; damals nicht leicht, man mußte von Südamerika über Prag einreisen. Das erste Mal, 1966, mußte er dort 17 Tage ausharren. Zwischen 1968 und 1971 arbeitete er im Kulturinstitut »Casa de las Américas« in Havanna, wo er gleich zu Beginn das Literarische Forschungszentrum gründete und leitete.

Zurück in Uruguay, war er Initiator und Der-der-den-Kopf-hinhielt für die »Bewegung der Unabhängigen 26. März«, dem politischen Arm der Nationalen Befreiungsbewegung »Tupamaros« (MLN-T) der Guerilla. Zu dieser Zeit publizierte Benedetti die Politerzählung »Der Geburtstag von Juan Ángel«, in der er munter Genres vermischt. (Vielleicht ein Vorbild für frühe Michael-Wildenhain-Bücher.) Die Tupamaros partizipierten kurz darauf an der Linkskoalition »Frente Amplio«, für die Benedetti dann auch den Uru-Grass machte.

1973 war der Traum aus, Putsch, Benedetti geht nach Buenos Aires. Dort weist ihn ad hoc die »Triple A« (Alianza Anticomunista Argentina – Todesschwadronen) an, das Land binnen 48 Stunden zu verlassen. Ein »Privileg«. Benedettis Exil (Perú, Cuba, Spanien) wird über zehn Jahre dauern. Ein Thema, das ihn nie wieder losläßt.

Einige seiner herausragendsten Werke sind »Montevideanos«, ein Erzählband, der in der zweiten Hälfte der 50er erschien. Benedetti arbeitete daran geschlagene 18 Jahre; ein Buch, auf das jeder Hauptstädter, der nicht zur Oberschicht gehört, bis heute stolz ist. Ein literarischer Meilenstein der Epoche.

1960 erschien der Roman »La Tregua«, der ihm zum internationalen Durchbruch verhalf. Mitte der 70er war die erste (argentinische) Verfilmung für einen »Oscar« nominiert – den freilich ein Fellini-Film einsackte. 1992 debütierte Benedetti in dem Film »Die dunkle Seite des Herzens«, der auf seiner formidablen Lyrik basiert, als Schauspieler: In Matrosenklamotten steht Dón Mario am Tresen einer Prostituierten-Bar Montevideos, in der Hand ein Whiskey-Glas, und zitiert sich selbst auf deutsch – Kinogeschichte.

Erwähnenswert auch das Drama »Peter und der Kommandant«, ein Zwei-Mann-Stück über Folter (1979). Die Anzahl der Publikationen Benedettis übertreffen seine Lebensjahre bei weitem. Essays, Kinodrehbücher, Haikus, Sonette, Tonträger (am bekanntesten in Europa wohl die Platten des Katalanen Joan Manuel Serrat) – alles war für ihn schiere Herausforderung. Nicht zu reden von Preisen, Medaillen, Ehrendoktorwürden.

Nach drei längeren Hospital-Aufenthalten in 2009 war jetzt Schluß. Für die Statistiker jedenfalls. Lateinamerika blutete tagelang Schweiß. In Guatemala, in Kuba, überall fanden Trauerakte statt, Tausende hielten es zu Hause nicht aus. »Immer gelang es ihm, daß wir unsere intimsten Momente und unsere dringlichste Wut nacherleben mußten«, notierte der Nobelpreisträger von ’98, sein portugiesischer Freund José Saramago, in seinem Blog. Benedetti hatte das zeit seines Lebens so zusammengefaßt: »Das Bewußtsein ist die einzige Religion.«

Uruguay ordnete Staatstrauer an. Sein im Palacio Legislativo, dem Parlamentsgebäude, aufgebahrter Sarg wurde mit Blumen und Bleistiften überschwemmt. Heißt es doch in einem Haiku von Benedetti sinngemäß: »Wenn sie mich einbuddeln / vergessen Sie bitte nicht / meinen Bleistift«. Vergessen hat keiner gar nichts. Tausende pilgerten am vergangenen Dienstag durch die Straßen Montevideos, Tausende rezitierten Verse von Benedetti, die sie auswendig kennen. Vor drei Jahre war die an Alzheimer erkrankte Frau des Schriftschaffenden, »Lucita«, verstorben. Benedetti arbeitete bis zum letzten Tag, immer darauf wartend, sich mit ihr, mit der er 50 Jahre verheiratet war, wiederzuvereinen. Sein großes Thema: Liebe und Widerstand. Gracias, Mario!

junge welt 25. Mai 2009
André Dahlmeyer



» http://www.jungewelt.de/2009/05-25/017.php?sstr=Ma
Veröffentlicht unter Kultur

50 Jahre ASC / VSC

Archiv