Sozialismus als Gegenmodell

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Aussichten auf eine bessere Welt vermittelte Venezuelas Präsident Hugo Chavez

Jean Feyder: Leistet Widerstand! Eine andere Welt ist möglich. Westend-Verlag, Frankfurt am Main 2018, 255 S., 18 Euro.

Mit der Wahl des Slogans der Weltsozialforen »Eine andere Welt ist möglich« ist die Argumentationslinie dieses Bandes vorgezeichnet. Die von Jean Feyder vorgetragenen Fälle aus drei Kontinenten können gelesen werden als die empirische Unterfütterung des hinreißenden Essays von Stéphane Hessel »Empört Euch«, das kurz vor Hessels Tod 2010 erschien und binnen weniger Wochen in mehr als einer Million Exemplaren verkauft wurde. Wie Hessel ist Feyder ein langgedienter, hochrangiger UN-Diplomat, der als Beobachter und Akteur an zahlreichen Verhandlungen teilnahm und die federführenden Organisationen kennt, die einmal unter hehren Parolen angetreten waren, um eine bessere Welt zu schaffen, Hunger zu bekämpfen, Konfliktursachen zu beseitigen, Menschenrechte zu verwirklichen – und mit ihren konkreten Taten genau das Gegenteil dessen erreichten. Warum ist das so?Feyder benennt als Hauptursache die weltweite Durchsetzung des Neoliberalismus. Sie wird gezielt betrieben von den großen Mächten wie den USA, vor allem aber von der EU mittels der von ihr aufgezwungenen Freihandelsverträge, in der Regel »Wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen« (WPA) genannt, die die Ökonomien und in deren Folge die Sozialstrukturen der vormaligen »dritten Welt« ruinieren. Die dahinterstehenden Interessen sind vor allem die des Finanzsektors mit seinen Börsenspekulationen auf Rohstoffe und agrarische Produkte. Die Dynamik, ja Allgewalt des Finanzkapitals, begünstigt durch die Einrichtung und Duldung von Steuerparadiesen, hat zu einem Zustand geführt, in dem die acht reichsten Familien der Welt über ein Vermögen verfügen, das größer ist als das Vermögen der ärmeren Hälfte der Welt. All dies hat einen Prozess eingeleitet, den er die »leise Privatisierung der staatlichen Machtausübung« nennt.

Dem seit drei Jahren die Medien beherrschenden Thema Flucht ist dann auch gleich das erste Kapitel gewidmet. Der Autor geht dabei auf die tatsächlichen Ursachen ein, die Menschen veranlassen, ihre Heimat zu verlassen: Neoliberalismus, EU-Außenwirtschaftspolitik, die Doppelzüngigkeit der »Armutsbekämpfung«, die Rolle der »öffentlich-privaten Partnerschaften«. Anhand ausgewählter Beispiele (CETA-Abkommen, Griechenland, Glyphosat, der Rolle von Monsanto) wird im zweiten Kapitel dargestellt, wie Konzerninteressen von staatlichen Akteuren unterstützt werden und wie dieses Interessenbündnis Demokratie untergräbt. Die neoliberale Ideologie, die behauptet, durch Zurückdrängen staatlicher Regulierung über die »Freiheit der Märkte« allgemeinen Wohlstand zu schaffen, erweist sich als das, was sie ist: die Steuerung und Inbesitznahme des Staates zum Zwecke der Profitmaximierung und der Stärkung der Macht des internationalisierten Kapitals. Das etwas oberflächlich geratene dritte Kapitel ist dem Brandherd des Nahen Ostens, der Entstehung des Dschihadismus und der Unterdrückung der Palästinenser gewidmet.

Im vierten und letzten Kapitel »Eine andere Welt ist möglich« verweist Feyder auf jene Autoren und Akteure, die gewissermaßen die breite Basis eines Bündnisses darstellen, das es möglich machen könnte, eine andere, menschlichere Welt zu schaffen. Kronzeugen sind dafür Stéphane Hessel und Papst Franziskus, der auf die Folgen der Umweltzerstörung für das Überleben der Menschheit hingewiesen hat und »die Dominanz der Wirtschaft« für diese Gefahren verantwortlich macht. Als Gegenmodelle zum Diktat des Neoliberalismus nennt Feyder das Kuba Fidel Cas­tros, wo die materiellen Menschenrechte weitgehend realisiert wurden, und das Venezuela von Hugo Chavez und dessen mustergültige Sozialpolitik.

Der Autor schließt mit Zitaten der einschlägigen Artikel aus den UN-Menschenrechtserklärung von 1948 und fragt empört nach der Einlösung der dort festgelegten Grundprinzipien. So ist dieses Buch ein Dokument zutiefst moralischer Empörung über die Zustände dieser Welt und die undemokratische zerstörerische Gewalt des globalisierten Kapitalismus. Persönliche Eindrücke von zahlreichen Reisen und Gesprächen unterfüttern die Darstellung. Dabei wird die Argumentation oft flach: So wichtig die moralischen Appelle für die Mobilisierung der Menschen sind, so sehr hätte eine analytischere Herangehensweise dem hier verfolgten Anliegen geholfen, Strategien zu entwickeln. Der Hinweis auf die gewaltige und stetig wachsende Zahl von zivilgesellschaftlichen Nichtregierungsorganisationen ist nach Meinung des Rezensenten noch nicht der Beweis dafür, dass die Weltgesellschaft sich auf dem Weg zu mehr Demokratie befindet. Diese Organisationen werden doch in zunehmendem Maße von Konzernen und Akteuren des Finanzkapitals instrumentalisiert, und ihre wachsende Zahl allein schafft noch lange nicht jene breite solidarische Front, die nötig wäre, die herrschenden Verhältnisse grundlegend zu verändern. Wichtig ist dieses Buch, weil es die dafür notwendige Empörung einfordert. Diese in Handlungsmacht umzusetzen bleibt eine noch einzulösende Herausforderung.

Werner Ruf



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