Venezuela, Wahlen 6D. Bericht schweizer Wahlbegleitung CNE in VENEZUELA (+ FOTOS)

 

Beobachtungen von Walter Suter,  ALBA SUIZA und G. Federico Jauch, ALBA SUIZA und ASC/VSC

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Wahlbeobachtung

Federico wurde vom CNE (Consejo Nacional Electoral) in Nueva Esparta (Isla Margarita) und Walter in Táchira (Grenzgebiet zu Kolumbien) eingesetzt. Dritte im Bunde war Brigitte Marti (Stv. Generalsekretärin GPS). Sie stand im Westen von Caracas im Einsatz.

Vom Tag unserer Ankunft am 01. Dezember bis zum 05. Dezember haben wir zusammen mit den übrigen 130 Wahlbegleitern vom CNE eine detaillierte Einsicht in das automatisierte Wahlsystem wie auch Instruktionen für das Verhalten am Wahltag erhalten. Wir haben jeder an seinem Einsatzort Gelegenheit gehabt, während des Urnengangs mehrere Wahlzentren mit je 6 bis 8 Wahllokalen zu besuchen. Bei der Eröffnung der Wahllokale haben wir besonderes Augenmerk auf die Abläufe bei der Installation der paritätisch zusammengesetzten, fünfköpfigen Wahlgremien gelegt und am Abend minutiös das Prozedere bei der Schliessung der Wahllokale und der Auszählung der Stimmen beobachtet.

An allen Einsatzorten haben wir -unabhängig voneinander -feststellen dürfen, dass das seit 2004 schrittweise perfektionierte Wahlsystem heute absolut transparent und „wasserdicht“ ist. Das System enthält keinerlei Raum für Manipulationen.

 

Wahlresultate – Kommentare der Parteien

Die Wahlergebnisse nach definitiver Auszählung und Publikation durch den CNE, am 09. Dezember:

MUD: 112 Sitze (inkl. 3 Sitze für die Indígenas),ca. 8,5 Mio. Stimmen (58%)

GPP: 55 Sitze, ca. 6 Mio. Stimmen (42%)

Besonderheit:  112 ist exakt die Mindestanzahl von Sitzen, um über die qualifizierte Mehrheit von 2/3 zu verfügen. Die MUD hat den 112. Sitz über eine Mehrheit von 83 Stimmen in einem Dorf in Aragua errungen !

Reaktion GPP:  Maduro hat das Ergebnis 5 Minuten nach der Verkündung durch die Präsidentin des CNE anerkannt. Er hat damit das vor Wochen öffentlich abgegebene Versprechen, dass er das vom CNE publizierte Resultat respektieren werde, eingelöst.

Quintessenz seiner Erklärung zur Wahlniederlage am Fernsehen war: „Wir haben zwar eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren“; „Chávez vive, la lucha sigue !“ Es handle sich um einen vorübergehenden („por ahora“) Rückschlag auf dem langen und schwierigen Weg zur Vollendung des bolivarischen Prozesses. Nun gelte es, die Reihen zu schliessen, die „drei RRR“ (revisar, rectificar, reimpulsar) anzuwenden. Es sei nicht die Stunde der Resignation, sondern der Neuformierung der bolivarischen Truppen zur Verteidigung der grossen sozialen Errungenschaften. Und schliesslich, um mit Simón Rodríguez zu sprechen: „Necesario es vencer“.

 

Reaktion MUD:  Die bekannten Protagonisten der Opposition wie Ramos Allup, Capriles, Torrealba und selbst Machado reagierten auf ihren überwältigenden Wahlsieg mit beschwichtigenden Erklärungen, dass sie selbstverständlich keinerlei revanchistische Absichten hegten, sondern auf den Dialog und die Kooperation setzten…… . (Unser Kommentar: „…die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube…“, denn das ellenlange Sündenregister der gewalttätigen und verfassungsbrüchigen Opposition spricht eine andere Sprache). In der euphorischen Stunde des Sieges fällt es schliesslich leicht, gönnerhaft mit Engelszungen zu sprechen…. Von gewissen Vertretern der Ultras waren jedoch andere, d.h. agressive und revanchistische Stimmen zu hören; diese stellen allerdings eine Minderheit dar.

 

Unsere Wertung des Wahlausgangs:

Die PSUV und die anderen Mitglieder des Gran Polo Patriótico haben, ohne wenn und aber, eine saftige Niederlage erlitten, die in diesem Ausmass sowohl die chavistas als auch die Oppositionellen völlig überrascht hat. Das Wahlresultat verändert die politischen Machtverhältnisse in Venezuela grundlegend. D.h. es kommen schwierige, vielleicht noch schwierigere Zeiten auf das Land zu.

Die qualifizierte 2/3-Mehrheit der MUD eröffnet für beide Seiten plötzlich ganz neue Perspektiven. Die meisten Menschen reiben sich immer noch die Augen und sind weiterhin daran, das unerwartete Ergebnis zu verdauen. Die politischen Führer müssen sich erst an die neue Realität gewöhnen und ihre bisherigen Strategien überdenken sowie neu festlegen.

Bedeutung für den GPP: Die Führung muss sich des doch massiven Machtverlusts, der mit dieser Wahlniederlage verbunden ist, erst mal bewusst werden. Sie muss in sich gehen und sich darauf konzentrieren, zusammen mit dem verbliebenen „harten“ Kern von immerhin 6 Millionen revolucionarios die Verteidigung des Prozesses an die Hand zu nehmen und die ca. zwei Millionen Wechselwähler („votoscastigos“) mit einer überzeugenden Wirtschaftspolitik zurückzugewinnen. Auch bleiben die 20 (von 24)Teilstaaten-Regierungen und –Parlamente sowie 70% der Bürgermeister (Alcaldes) bis zu den nächsten Wahlen Ende 2016, bzw. Ende 2017 in chavistischen Händen. Bleibt noch die Frage der Haltung der Streitkräfte (FANB), die vorläufig mehrheitlich noch auf der bolivarischen Seite stehen. Und schliesslich wird sich der PSUV, und im besonderen der Präsident, auf eine wie immer geartete Kohabitation mit der MUD einrichten müssen, die nunmehr in der Lage sein wird, verfassungsmässig und rechtlich selbst Rahmengesetze zu streichen oder zu verändern und die Mitglieder des Obersten Gerichts und des CNE sowie den Generalstaatsanwalt, den Ombudsmann und den Chef des Rechnungshofs durch Parteifreunde zu ersetzen ! Zurzeit finden im Innern des GPP intensive Gespräche – aber auch Auseinandersetzungen mit Schuldzuweisungen – statt, wie die Niederlage aufzuarbeiten sei. Die radikaleren Elemente wie Diosdado Cabello, die angeblich eine Konfrontation mit der Rechten nicht scheuen, scheinen in der Minderheit zu sein.

Bedeutung für die MUD: Mit dem überraschend grossen Machtzuwachs muss sich die MUD neuen und enormen Herausforderungen stellen. Sie musslernen, mit dieser Verantwortung umzugehen und Politik-Strategien zu entwickeln, die ihr ermöglichen, den heterogenen Haufen, der sich in der Wahlallianz gesammelt hat, zusammenzuhalten und die bald sich manifestierenden persönlichen Ambitionen und Spaltungstendenzen zu kontrollieren. Auch wird sie sich , trotz Machtzuwachs, ebenfalls auf die angesprochene Kohabitation mit dem Präsidenten vorbereiten müssen. Die gemässigteren Stimmen im Lager der Rechten, die vermutlich Mehrheit sind, betonen, dass sie mit einer Politik der Konfrontation nichts gewinnen werden.

Worüber sich sowohl die Linke als auch die Rechte mehrheitlich einig zu sein scheinen, ist die Überzeugung, dass die Lösung der äusserst schwierigen wirtschaftlichen Lage absolut prioritär ist und keinen Aufschub mehr erträgt. Immerhin ein Ansatzpunkt für eine Kooperation im neuen Parlament ! Spätestens ab dem 05. Januar 2016, wenn die neugewählte Asamblea Nacional installiert wird, werden wir mehr wissen, wohin die Reise gehen soll.

 

Aussenpolitik

Es steht ausser Zweifel, dass diese venezolanischen Wahlen eine Wende in der lateinamerikanischen Integrationspolitik einleiten wird. Die seinerzeit von Chávez initiierten Gründungen von ALBA,UNASUR, CELAC, Petrocaribe, Telesur etc., und ebenso MERCOSUR könnten in ihren Grundfesten erschüttert werden. Die konterrevolutionäre neoliberale Rechte in Lateinamerika und der Karibik, dürfte nicht zögern, die Gelegenheit beim Schopf zu packen, und mit Unterstützung der USA, zu versuchen, den progressistischen Regierungen und Kräften im Kontinent „den Garaus zu machen“.

Aber auch die in den vergangenen Jahren geflochtenen engen Beziehungen und Verträge mit den antiimperialistischen Allierten wie Kuba, China, Russland, Iran, Syrien und Palästina könnten unter die Räder kommen.

Man muss sich also auch aussenpolitisch auf grundlegende Änderungen gefasst machen.

 

Auswirkung auf ALBA SUIZA ?

Wir sind der Auffassung, dass wir unter diesen neuen und ausserordentlichen Umständen

  • keine Spontan-Entscheide fällen sollen
  • der sachlichen Analyse und Beobachtung der Lage und Entwicklung Vorrang einräumen
  • und im Januar 2016, nach der Amtseinsetzung der neuen Abgeordneten, eine neue Standortbestimmung vornehmen.

 

Chávez vive, la lucha sigue !

Walter Suter und  G. Federico Jauch

 

Caracas, 10 Dezember 2015

 

Veröffentlicht unter Aktuell, Cuba, Schweiz

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